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Berichte & Ergebnisse 2019

Kein Tag wie jeder andere - der 46. Berlin-Marathon am 29. September 2019

Beitrag von Ralf Milke.

BERICHT VON HORST MATZNICK

Wenn 46.983 läuferisch sehr aktive Menschen zusammenkommen, dann steht da eine geballte Ladung Gleichgesinnter auf einem begrenzten Fleck, der nicht ohne Nachwirkungen bleiben kann. Vielleicht übertrieben, doch der vorgenannte Event dürfte zweifellos eines der markantesten Merkmale deutscher Sportgeschichte sein. Schon der Ort Berlin mit seinen inzwischen leicht vergangenen, aber niemals vergessenen politischen Ereignissen ist ein Anziehungspunkt. Und wenn dazu städtische Sehenswürdigkeiten zum glanzvollen Rahmen einer populären Laufveranstaltung zählen, dann ist das kein Zufall, dass sich viele danach drängeln, gerade hier dabei zu sein. Sportlich gesehen ist Berlin geradezu die Hochburg von Marathon Bestleistungen, sprich eine Vielzahl von Weltrekorden.

Selbst aus meinem Gesichtsfeld hat sich eine größere Zahl von Mitstreitern eingefunden, die nicht davon lassen können, 42,195 km binnen einer Sollzeit von max. 6 Stunden (mit Toleranz darüber) zu bewältigen, weil jede Teilnahme zugleich Gesprächsstoff, ja, Unterhaltung bietet, wie sie im normalen Alltagsablauf nicht zu finden sein werden. Niemand ist dabei ohne Vorbereitung. Wochen, Monate vorher wird der Fitnessstand aufgepeppt. Leider tritt auch so manche Enttäuschung ein, wenn Verletzungen oder gar ernsthafte Erkrankungen eintreten. Die will und braucht keine (r). So gesehen ist das Thema Gesundheit in der Läufer*innen-Szene allgegenwärtig. Wer am Start steht, muss gesund sein, sonst Finger weg von der Königsdisziplin. Das gilt für alle Teilnehmer gleich Inline-Skatern (5081), wie Läufern und Läuferinnen. Ausnahmen (natürlich bezogen auf die jeweilige Behinderung) bestehen für die Handicap-Sportler mit ihren Rennmaschinen (Wheelchairs (69), Handbiker (160)! Die hier erwähnten Gruppen starten zu unterschiedlichen Zeiten, weil sie untereinander nicht vergleichbar sind, dennoch dieselbe Distanz gewählt haben, beim Zusammentreffen aber ein völlig falsches Bild liefern würden.

Peng, um kurz vor 09.00 Uhr ging es für die Fahrer los, um 09.15 Uhr erfolgte der Startschuss für die üppige Meute der sich gut 800 m hinziehenden Startgruppen. Das Brandenburger Tor im Rücken, in Sichtweite der Gold-Else (Siegessäule) ging es auf die breiten Pisten der Straße des 17. Juni auf relativ flachem Terrain. Ohne erstklassige Organisation wäre eine derartige Riesenveranstaltung nicht hinzukriegen. Schnell ergießt sich der stilisierte Bandwurm der dahin eilenden Wettkämpfer*innen in die weiterfolgenden Straßen. Vom Tiergarten geht es in die Ortsteile Charlottenburg, Moabit, gestreift wird das Regierungsviertel und schwupp, ist man in Mitte, denn alsbald erscheint der markante Fernsehturm am Alex zur Rechten. An der „Grenze“ nach Kreuzberg spricht niemand mehr von Ost und West, nein, das ist Berlin. Und wer das noch immer nicht weiß, unbedingt aufschreiben und merken! Und weiter, über den Kotti (eigentlich mit C, hier aber Kottbusser Tor und Damm) zum Hermannplatz (Neukölln/Kreuzberg) geht es endlos geradeaus nach Schöneberg. Ersehnt kommt Halbzeit (21,1 km). Von nun an geht es bergab, rede ich mir ein – meist folgt etwas anderes. Während die „Einlauf-Phase“ der ersten Hälfte vom Idealwetter für den Marathon begleitet wurde (15/16 ° C), änderte sich das ab km 23 schlagartig. Zunächst setzte leichter, später stärkerer Regen ein, erschwerte allerdings kaum das Renngeschehen. Zuvor war bereits Schöneberg fast passiert, wo mir das Glück widerfuhr, vom Großteil meiner Familie begeisternde Aufmunterungen zu erhalten. Die nächsten zwei km bis zum besagten Regenbeginn schwebte ich wie in früheren Zeiten über den Asphalt. Das tat gut. Nicht vergessen, die unzähligen Bands, Trommler und andere Radau- und Stimmungsmacher. Das ging ins Blut und heizte mächtig ein. Und wem am Innsbrucker Platz unter der Brückenunterquerung beim brachialen BUMM-BUMM, BUMM-BUMM kein Gänsehautschauer über den Rücken lief, der muss woanders gelaufen sein.

Nach Steglitz streiften die Läufer*innen das vermeintlich stille Dahlem, ja, denkste, dort wo der „Wilde Eber“ haust, da steppt der Bär beim Marathon - wenn die Sonne scheint. Jetzt aber goss es richtig und die sonst anwesenden Massen hatten sich mit Ausnahme eines Restvolks in nahe gelegene Cafe`s oder zum heimischen Fernsehsessel verkrümelt. Bald nach der Kehre am Roseneck kam km 30 in Sicht und der Hoffnungsstrahl der Erleichterung kehrte ein. Von hier an kann es jeder schaffen, vorausgesetzt, der „Mann mit dem Hammer“ steht nicht im Wege. Marathon beginnt bekanntlich immer erst jenseits der 30. Schon folgt der „schlimmste Anstieg“ (vom Autofahrer kaum wahrgenommen) zur Stadtautobahn überquerenden Hohenzollerndammbrücke. Ein echter in die Knie gehender Schleicher, der allerdings Rehabilitierung erfährt auf leicht abschüssiger Drift zum Fehrbelliner Platz. Ein leichter Seufzer schafft Erleichterung, weil die Flaniermeile Ku`damm/Tauentzien nicht mehr weit ist. Und was sich da am Renntag abgespielt, ist einfach toll. Fast wie auf dem Jahrmarkt, ein (ich nenn`s mal respektlos) Servicepunkt neben dem anderen, wohlgemerkt in Abständen von 100 m, wobei sich die Stimmung von einem zum anderen Punkt überträgt. Man taumelt förmlich vorbei.

Km 35. Erst jetzt beginnt der wahre Marathon, weil der Körper sich mit allen Minuspunkten meldet, die er nur mobilisieren kann. Hach, denke ich, der kann mich mal, ich habe eine gute Kondition, und in dieser Laune übersieht man das versteckt lauernde(diesmal) kleine Kerlchen mit dem Hammer, das es auf meine Beinmuskulatur abgesehen hat. Aua, ein Krampf naht. Wade an Gehirn, Tempo rausnehmen, vielleicht ein paar Schritte gehen und ordentlich dehnen. Mache ich doch sofort. Es scheint zu helfen. Diejenigen, die den bösen Wichtel gänzlich ignorieren, bekommen schnell härtere Bandagen angelegt. Invalidität ist noch nicht das ganz richtige Wort, aber Kampfwanderer, ab km 35 schon ziemlich häufig, gehören nicht mehr so richtig zu denen , die durch das Tal der Leiden gehen. Sie vermindern den Schmerz, den andere Läufer*innen in Kauf nehmen, um 10 Minuten, manchmal mehr gut zu machen. Wo fängt das Heldentum an, wer erhält die Auszeichnung und wem wird sie versagt? An dieser Stelle eine derart diffizile Frage zu stellen, ist schlicht weg verboten. Das Rennen dauert noch immer an, wenngleich die Spitze, die 3 Stunden-Flitzer und auch die noch unter 4 Stunden gebliebenen, die verdiente Medaille schon um den Hals hängen haben.

Vom Potsdamer Platz zum Vorzeigeplatz Gendarmenmarkt lebt die Hoffnung auf, doch noch ein, zwei Minuten aufzuholen. Warum eigentlich? Drei km können so lang sein und jetzt wird einem erst bewusst, wie sehr die Regen durchtränkte Rennkleidung sich seit einiger Zeit im Zustand eines Kettenhemdes befindet, 3 kg mindestens. In weiter Ferne, für diejenigen mit absolutem Gehör, ist der Zieleinlaufjubel bereits hörbar. Das geht als Schwerhörigem an mir vorbei (manchmal gut, meistens furchtbar). Trotzdem für mich und andere neben mir heißt es, jetzt Zähne zusammen beißen und die letzten beiden km Französische Str. / Querung Behrensstr. Und dann links ab zum km 41, nur noch 1,195 km und da ist es, das Symbol, das die Deutsche Einheit wie kein anderes repräsentiert: das Brandenburger Tor. Und wer hier erstmals 1990 durch`s Tor lief, weiß noch genau, wie sehr die Tränen flossen. So geht es mir jedes Mal beim Berlin-Marathon. Vor Freude heulen, Schöneres gibt es kaum. Nun noch 400m, kein einziges Gesicht ist verbissen. Man sieht ein Lächeln, das sich nach Zielerreichen zur echten Freude wandelt. Nennen wir es einfach Glück. Denn wer gesund und ohne schlimme Blessuren den Lauf beendet, wird sich mit Sicherheit dem Spruch anschließen: Marathon ist dann am schönsten, wenn er vorbei ist.

Nur für die, die es wissen wollen: Mein 36. Berliner Lauf als Ersatz für den 2018 durch Krankheit ausgelassenen, ist erfolgreich zu Ende gegangen, mit nur geringem Zipperlein. 4:41:16 – früher war alles besser, auch das Alter (79 in wenigen Tagen). Basta.

Die Lauffreunde aus dem Verein Pro Sport Berlin und vom Lauftreff Bernd Hübner haben ebenfalls Grund zum Jubeln. Geschafft ist geschafft. Respekt und Gratulation. Auf ein Neues, nach dem Marathon ist vor dem Marathon, allerdings mit Abstand, denn es ist und bleibt ein Hobby, weil es weit Wichtigeres im Leben gibt, selbst wenn es Andersdenkende gibt.

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