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Berichte & Ergebnisse 2010

46. Lidingöloppet am 25. 9. 2010

Beitrag von Carsten Schultz.

Der Berlinmarathon ist ein hervorragender Lauf — für die, die schnell laufen. Da ich zu denen momentan nicht gehöre, suche ich mir schon seit einiger Zeit andere Herausforderungen, die mir auch dann Spaß machen, wenn ich sie nicht mit letzter Konsequenz vorbereite. Dazu gehörte im letzten Jahr die 45. Auflage des Lidingöloppet. Dies ist der Hauptlauf eines dreitätigen Laufwochenendes auf Lidingö, einer Insel (schwedisch: ö) direkt vor Stockholm.

Im letzten Jahr hatte ich angenommen, die dreißig Kilometer müssten, auch wenn sie über hügelige Waldwege gehen, doch unter zwei Stunden zu bewältigen sein. So forsch wie ich dementsprechend angegangen war, so brutal fiel dann auch die Erkenntnis aus, dass man als Flachländer doch vorher das Streckenprofil genauer studieren sollte. Selbst die 2:15-Marke, die für Männer die Silbermedaillen von den Bronzemedaillen trennt, verpasste ich mit 2:22 deutlich. Einer Anfeuerung während einer Frustgehpause entgegnete ich “I'll do better next year”. Ich hatte also guten Grund wiederzukommen, und so war ich am Berlinmarathonwochenende in Stockholm.

Das Prozedere dieses sehr gut organisierten Laufes war mir also aus dem Vorjahr bekannt. Von der letzten U-Bahn-Station in Stockholm fahren Shuttle-Busse zum Veranstaltungsgelände. Dort kann man Taschen abgeben. Den blauen Trainingsanzug mit gelber Schrift, der einen als Läufer aus dem Verein mit dem lustigen Namen ausweist, tut man aber besser erst in dem etwa eineinhalb Kilometer entfernten geräumigen Startblock in den Wäschebeutel und diesen in den Wagen, mit dem er dann zum Ziel transportiert wird. Der Start ist zur angenehmen Uhrzeit von 12:30, zumindest für die Läufer im ersten Block. Die Zahl der Startblöcke, die im Abstand von 10 Minuten gestartet werden, ist mit neun recht groß, aber das ist auch sinnvoll, wenn man mehr als 10.000 Läufer auf eine aus Waldwegen bestehende Strecke schicken möchte. Der erste Startblock ist noch einmal in drei Gruppen unterteilt. Dieses Jahr fand ich mich, wohl meiner Vorjahresleistung gedankt, in 1C, also der dritten dieser Gruppen, wieder und damit an einer Startlinie, die einen deutlichen Abstand zur ersten hat. Das hieß, dass ich einfach etwas weiter zu laufen hatte als die Läufer vorne. So unkompliziert lässt sich ein Start regeln.

Trotzdem wurde es nach dem Start um mich herum erst einmal ziemlich eng. Nicht nur, dass die Masse um mich herum ein etwas langsameres Tempo hatte als ich es angeschlagen hätte, an Kurven kam es auch zu leichten Staus. Ich blieb ruhig, schwamm mit dem Strom und wartete ab. Das Wetter war entgegen meiner Befürchtung sehr gut, fast etwas zu warm. Später im Lauf sollte es kühler werden, aber nicht unangenehm.

Als sich das Feld weiter in die Länge gezogen hatte und Überholen möglich wurde, habe ich das Tempo vorsichtig angezogen. Ich hatte das Gefühl, dass es gut lief. Nachdem der dritte Fünfkilometerabschnitt mit 21 Minuten auch recht flott war, passierte ich das die Hälfte der Strecke markierende Schild nach 65 Minuten. Natürlich ging mir da eine Endzeit von 2:10 durch den Kopf, aber hauptsächlich rechnete ich, dass dies hieß, dass ich zweieinhalb Minuten unter 2:15-Silber-Schnitt war. Viel mehr als diese zweieinhalb Minuten, das kann ich schon verraten, wurden es auch im Laufe des Wettkampfes nicht mehr.

Die zweite Hälfte der Strecke hat das schwierigere Profil. Das ist zumindest mein Eindruck. Nun erscheint dem Läufer die zweite Hälfte immer schwieriger. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, kann aber zum Glück einfach nach Lidingö fahren und sich die Strecke anschauen, denn sie ist ganzjährig wie ein Wanderweg markiert. Alternativ kann man sich auch das Streckenprofil anschauen.

Jedenfalls bin ich mit dem durch den Einbruch im Vorjahr vermittelten Respekt weiter gelaufen und war froh, dass ein Abstand zum 2:15-Schnitt blieb, wenn ich auch einige Plätze einzubüßen schien. Wie gewohnt war ich relativ zu den anderen Läufern bergab schneller als bergan, aber auch bergab musste ich mich vorsehen, denn an einer Stelle deutete meine rechte Wade Krampfgefahr an. Als sich gleich nach der 25km-Marke nach einer Linkskurve die Steigung auftat, die mir, weil sie einem zu diesem Zeitpunkt des Laufes als Wand erscheinen kann, im Vorjahr moralisch das Genick gebrochen hatte, war ich gewappnet und blieb im Laufschritt. Um wieviel schneller ich damit als die zahlreichen an dieser Stelle gehenden Läufer war, sei dahingestellt. Auch den etwas kürzeren Anstieg zwei Kilometer vor dem Ziel bewältigte ich irgendwie. Dann das Schild ein Kilometer vor dem Ziel: Ein Blick auf die Uhr verrät, dass ich noch fünf Minuten habe, um unter den 2:15 zu bleiben, die während des Laufs vom Minimalziel zum Hauptziel geworden sind. Das Streckenprofil hatte zwar keine Gemeinheiten mehr angekündigt, aber sicher ist sicher, also das Tempo noch einmal etwas anziehen und — Krampf in der rechten Wade, humpeln stehen bleiben. Ärger. Aus dem Läuferfeld ruft jemand „Auf geht's!”, das Wort ,Berlin‘ auf meinem Rücken hat mich verraten. Ich weiß nicht, wieviel Zeit und wie viele Plätze ich hier verliere, aber meine Wade lässt sich zum Weiterlaufen überreden, und es müsste noch reichen. Nach nicht langer Zeit erreiche ich die Zielwiese, beschleunige noch einmal, nötige meiner Wade aber keinen Schlussspurt ab. Ein letzter Blick auf die Uhr, es reicht, ich komme nach 2:14:32 ins Ziel. Ich bin zufrieden, lasse mir die Medaille geben und begebe mich vorsichtig auf schwachen Beinen zu den Kleiderbeuteln und dann zum Bus.

Natürlich ist mir klar, dass ich keine überragende Leistung vollbracht habe, aber dass ich nicht gerade in der Form meines Lebens bin, wusste ich auch vorher. Jedenfalls erfahre ich später am Nachmittag, dass ich Platz 365 belegt habe. Der Sieger Japhet Kosgei Kipkorir benötigte 1:36:30 und mein erster Gedanke ist, wie das auf dieser Strecke geht. Wahrscheinlich, sagt mir der wieder einkehrende Realismus, hilft seine Halbmarathonbestzeit von 60 Minuten auch auf einer solchen Strecke. Die schnellste Frau war die Stockholmerin Ulrika Johansson mit 2:0:40. Wie noch einmal war ich im letzten Jahr darauf gekommen, dass das für mich eine angemessene Zielzeit wäre?

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