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Berichte & Ergebnisse 2007
Spartathlon 2006/2007 - Leistungskurs kriechisch oder das kleine Chinesikum - 2. Akt
Beitrag von Shakal Ryan.
Zweiter Akt – Ein Autogramm im Kinderprogramm
Warum tut man sich das an?! Letzter Freitag im September: Aufstehen um 4 Uhr früh ... und für bis zu 42 Stunden gibt es wieder kein Bett, wenn alles wunschgemäß „verlaufen gesollen sein wird”. Kurzes Frühstück, dann stehen die Busse zur Akropolis bereit. Noch ist es dunkel, die Atmosphäre am weltbekannten, romantisch angeleuchteten antiken Bauwerk einzigartig. Touristen fehlen so zeitig am Morgen, der Müll wird nicht angestrahlt. Schön. Sitzen die beiden am Vortag erhaltenen signalroten Startnummern vorn und hinten perfekt? Schmieren, salben, nochmal püschern. Fotos, Fotos, Fotos. Das deutsche Team in großer Besetzung. 55 Menschen voller Hoffnung. Wie alle 332 hier. Manche ruhig, viele aufgekratzt. Ich male mir aus, vergleichbar von Köln nach Mannheim oder von Berlin-Falkensee nach Hamburg-Bergedorf zu laufen. Und denke lieber nicht daran, dass man von Stuttgart aus zu Fuß deutlich schneller in München ankäme als von Athen aus in Sparta. Wie sagte einst so schön Antoine de Saint-Exupery: „Der Wanderer, der seinen Berg in der Richtung eines Sterns überschreitet, läuft Gefahr zu vergessen, welcher Stern ihn führt, wenn er sich zu sehr von den Fragen des Anstiegs gefangen nehmen lässt.” Denke positiv. Augen zu - und durch !
Um 10 nach Start um 7 Uhr empfiehlt sich das erstmals auch für die Ohren. Zahlreiche Polizisten sperren den ungeduldigen, fragezeichnenden Querverkehr und geleiten den Läuferlindwurm durch verzweifelt hupende Auto-Moped-Stauspaliere Richtung Westen. Zum Highway. Um 8 Uhr müsste man eigentlich längst die Nase zuhalten. Die Fahrzeuge stinken, der Müll stinkt, einige Kilometer weiter reiht sich KFZ-Werkstatt an KFZ-Werkstatt. Ölverschmierte Gastarbeiter mit erkennbar asiatischem Migrationshintergrund glotzen irritiert und wittern vergeblich Geschäft. Schnell ist es schwülwarm geworden. Trotz Singlet (ärmelloses Laufhemd) schwitze ich wie ein „angenehm trocken” gestarteter Saunagänger. Hier noch eine Raffinerie für die Nase, dort noch eine rostende Schiffswerft für das Auge. Reichlich Autobahn-Stop-and-Go-Verkehr auch für das Ohr. Dazu skelettiert ein überfahrener Hund im Straßengraben vor sich hin. Anerkennendes Verständnis für unser Tun sieht anders aus. Dann ein Vorort. Schulkinder bilden eine Gasse und klatschen begeistert ab. Na also. Geht doch. Läuft noch. Wieder Industrie. Schließlich wird es ruhiger, die Küstenstraße nach und hinter Megara offenbart erstmals traumhafte Ausblicke auf Ägäisches Blau, bald rückt auch der Peloponnes an den Horizont. Und bleibt vorerst dort.
Zu Beginn in illustrer Gesellschaft von Rainer Koch, Jan Prochaska, Rene Strosny und Michael Vanicek, habe ich bald ein eigenes Tempo gefunden, welle gemütlich die nun deutlich weniger befahrene Route an erstaunlich steiler Küste auf und ab. Und das dauert. Der Vorsprung auf das Fallbeil wächst langsam aber stetig, äquivalent zum Quecksilber. Wohin das alles noch führen soll...
Zum Untergang. Na ja, nicht ganz. Ein Tanker hat schwere Schlagseite, in Küstennähe ist der Ozean eben an manchen Stellen seicht. Das Wrack liegt dort erkennbar schon länger unmotiviert in der Gegend herum. Die griechische Müllabfuhr fühlt sich nicht mal für etwas größere Teile zuständig. Ein Denkmal an Odysseus ist es jedenfalls nicht. Dann wäre es ausgeschildert. So wie das entfernte Korinth, der erste große Kontrollpunkt bei km 81, ab welchem individuelle vorher anzumeldende Betreuung erlaubt ist.
Die Verpflegungsaufnahme gerät zunehmend zum Ritual. Ein Schluck Wasser, ein Keks, ein Becher Cola, etwas Salzgebäck für unterwegs. Nachbefüllen der Wasserflasche. An jedem dritten VP ein Bananenhäppchen statt Keks. Später auch Käsebrote. Erfolgreiche Ultramarathonis brauchen einen starken Verdauungsapparat. Ein um den anderen Kontrollpunkt lasse ich hinter mir, auch den einen oder anderen Läufer. Locker bleiben. Die Straße windet sich wie eine Carrerabahn aus Kindertagen. Ich versuche, mich wie eines dieser ferngesteuerten Pubertätsrennmobile zu fühlen, verdränge es alsbald wieder. Denn auch damals flog ja der eine oder andere raus.
Ein Schluck Wasser, ein Keks, ein Becher Cola, etwas Salzgebäck für unterwegs. Nachbefüllen der Wasserflasche. Die Sonne steigt und steigt. Ich ziehe die Mütze noch ein Stück tiefer in die Stirn und lege wasserfesten Faktor 30 nach. Die Haut brennt trotzdem. Der gesamte Organismus brennt. Der Geist brennt ungeduldig darauf, Korinth gesund und mit etwas Zeitguthaben zu erreichen.
Am selben Wochenende ist Berlin-Marathon. Wie quälend wäre es jetzt dort bei km 37? Bei 37 Grad in der Spätvormittagssonne? Ein Schluck Wasser, ein Keks, ein Becher Cola, etwas Salzgebäck für unterwegs. Nachbefüllen der Wasserflasche.
Nach einer weiteren Ewigkeit wird die Sparta-Marathonmarke von mir in ausbaufähigen 3std58min passiert. In den folgenden Ortschaften wird bisweilen heftig geklatscht. Kein Wunder, sind wir doch bis hierhin so schnell gelaufen, wie keiner der Anwohner es mit seinem Auto je durch den Verkehr schaffen könnte. Das macht Eindruck. Kilometer 50 in 4std45min. Jochen Höschele macht dermaßen viele Fotos, dass man fürchtet, er wolle später daheim in einem Brief 20% des Reisepreises müllbedingt zurück verlangen. Dabei haben wir gerade dahinter den allerschönsten Meerblick. Rainer und Rene schließen auf, auch Yoshio Nishimura bleibt als japanische Shinkansen-Ergänzung aus Kobe am entstandenen deutschen ICE. Yoshio hat seit 1997 alle Spartathlons gefinished, und noch immer keinen einzigen Ausfall. Auch 2007 nicht. Das ist Rekord. Kurz vor Korinth löst er sich und ich werde ihn bis Sparta nicht wiedersehen. Dafür sehen wir Elke Streicher, die im Ziel bestplatzierte Deutsche, die sich einmal mehr tapfer durchkämpfen wird.
Ein Schluck Wasser, ein Keks, ein Becher Cola, etwas Salzgebäck für unterwegs. Nachbefüllen der Wasserflasche. Nach Querung über den geschichtsträchtigen beeindruckenden Kanal mit ebenso faszinierendem wie schwindelerregendem Tiefblick von der Brücke ist der erste große und ernsthafte Control Point nach 7std53min endlich geschafft. 81km durchgezogen, noch keine nennenswerte Gehpause, leider auch keine nennenswerten Wolken. Die Atmosphäre glüht, doch mit dem Warmlaufen bin ich zufrieden. Wir haben das erhoffte beruhigende Polster. So lässt sich planen.
Wer in Korinth nach 9 ½ Stunden nicht raus ist, ist raus. Denn ein bestimmtes Zeitlimit gilt an allen Verpflegungsständen, wird dort jeweils auf großen Tafeln angezeigt, überwiegend rigoros durchgesetzt ... und beendet manche Hoffnung leider viel zu früh. Bei Überschreitung des vorgeschriebenen Limit wird man zwangsweise aus dem Rennen genommen.
Das also ist der eigentliche Clou des Spartathlon: man läuft ständig gegen die Uhr.
Vom Start weg gilt es, die erlaubte Zeit zwischen den Kontrollpunkten einzuhalten. Und das wird nicht etwa gleichmäßig, sondern degressiv vorgegeben. Der körperliche Verfall wird sozusagen von der Organisation eingepreist. Ganz so, wie es der Zweittäter (der antike Bote Pheidippides gilt als historische Erst-Referenz) und Renn-Erfinder John Foden 1982 erlebt haben soll. Ist man schneller als dieser britische Air-Forcer und seine Lauffreunde, kann man sich ein kleines Guthaben erlaufen. Das ist jedoch selten und für die Wenigsten der Fall, insofern ist man gefordert, ständig auf Zug zu bleiben. Halbmarathonvorgabe in weniger als 2std, Marathon etwa im 6er Schnitt. Später mal ein oder zwei Stündchen ausruhen und Kräfte sammeln, wie von vielen Athleten bei 24h-Läufen praktiziert, wäre beim Spartathlon für die Allermeisten leider auch der sichere Off-cut by Cut-off. Folgerichtige Losung: dran bleiben und Druck auf die Füße. Zu jeder Zeit.
Zu dieser spielen sich am Schluss des Feldes gerade die ersten echten Dramen ab. Für manche der Verpflegungspunkte wurde offenbar zu knapp eingekauft, sowohl Rekordbeteiligung als auch Rekordhitze sorgen dafür, dass es teilweise nur noch Wasser gibt für diejenigen, welche die Nahrungshilfe wirklich am allernötigsten hätten. Entsprechend sitzen schon bald mehr als ein Viertel der Starter enttäuscht im Besenbus. Trotz der Vorauswahl, die nur Läufer akzeptiert, welche aufgrund ihrer nachzuweisenden Leistungsfähigkeit -realistisch betrachtet- Chancen haben, Sparta binnen 36 Stunden zu erreichen: die Ausfallquote beträgt am Ende regelmäßig 55-75%. Ein Besenbus allein wird also ganz sicher nicht genügen. Tragisch.
Die Autogrammstunde der Helden in Spe beginnt nach 100 km. Soweit muss kommen, wer eifrigen griechischen Kindern Rede und Antwort und eine Namensnotiz in ihrer Schulkladde wert sein will. 2006 konnte ich, so wie ich mich dort fühlte, nicht mal mehr mit meinem guten Namen zählen. Das hob offenbar noch den Marktwert, ich war damals schnell umringt von einer Horde Nochnichtzehnjähriger. Waren die Schüler verzweifelter oder ich, weil ich kaum noch zu laufen und noch weniger zu schreiben vermochte? Ich schämte mich zutiefst, wollte gut 2km und 27min (!) weiter in Zevgolatio meine Startnummer abgeben, nachdem ich gerade auf einer ausgelegten Massagematte zusammengesunken war. Zwei Aphroditis päppelten mich seinerzeit mit Honig-Joghurt und viel gutem Zureden aufopferungsvoll wieder hoch. Denn das mit der Freundlichkeit und Euphorie sämtlicher Helfer ist tatsächlich wahr! Großes Efcharisto dafür! Ansonsten habe ich oben bei der Beschreibung des Rennens "natürlich" gelogen. Nein, es läuft wahrlich nicht immer rund, es ist kaum flach, aber vor allem ist es wenigstens zwischen 10 Uhr und 18 Uhr deutlich zu heiß.
Noch 45 Minuten Gnadenfrist. Wackelige Beine wie ein Kalb gleich nach der Geburt, das Wiederauffalten von der Matte dauerte damals alleine 3 Minuten. Ich schwor mir aber, so lange weiter zu machen, bis man mich zwangsweise aus dem Rennen nähme. Und hier nie wieder zu starten. Nie wieder! Nein, wirklich, das hält ja kein Mensch aus. Warum tut man sich das an?!
100km in 10std03min, sauberer Sechserschnitt. Fast eine Stunde schneller als im Vorjahr. My name is Ryan, Shakal Ryan. Doch niemand will ein Autogramm. Komisch. Dafür empfängt mich Generationen übergreifend begeisterte Dorfbevölkerung in Assos mit lauter Gladiatoreneinmarschsoundkulisse. Kinder recken mir das halbe Buffet in Einzelteilen entgegen und wollen auch hier abgeklatscht werden. Yassou! Zehn Schluck Wasser, ein Keks, drei Becher Cola, etwas Salzgebäck für unterwegs. Nachbefüllen der Wasserflasche. Ich laufe immer noch durch, nutze meine Trinkflasche seit geraumer Zeit aber nur noch als Sprinkleranlage zur Außenkühlung. Zur Freude der Kinder arbeitet an diesem Streckenpunkt meine Sprinkleranlage auch zu ihrer Kühlung. Yassou! Aber hallo!
In Zevgolatio kurz darauf bin ich dieses Jahr viel besser drauf, gönne mir eine kurze Beinmassage, während ich einen der angesprochenen leckeren fettigen Joghurts vernichte. Aber warum ich danach auf die Außenkühlung verzichte? Es wird langsam dunkel, in nun steiler ansteigendem Gelände gibt es an manchen Stellen schon etwas Schatten. Rainer und Rene haben überholt, haben gerade eine starke Phase, dabei starte ich nun in meine erste blaue. In Halkion kann ich kaum noch piep sagen. Erste Gedanken an Aufgabe, als ich vom Plastikklappstühlchen aus nicht mal mehr Blicke auf das Nahrungsangebot richte. Kein Schluck Wasser, kein Keks, kein Becher Cola, kein Salzgebäck für unterwegs. Nach Banänchen oder Käsebroten ist mir erst recht nicht. Dabei habe ich schon mehr als 2std Zeitpolster, und mit Anbruch der Nacht sollte es angeblich doch leichter werden?!
„Spartaner, heute Nacht sterben wir in der Hölle!” (Leonidas zu seinen Leuten im Film „300”)
Also kurz mal ein wenig wandern. Nachdem kaum jemand überholt, gehe ich davon aus, nicht gar so langsam zu sein. Wieder etwas traben. Bald deutsche Stimmen. Jan und Michael nehmen mich mit. Das motiviert, einen Gang hochzuschalten. Gemeinsam erreichen wir um 20h25 das alte Nemea, den zweiten zentralen Checkpoint. Mit Menüwahl. Gemüsereis? Ich entscheide mich für die Maccaroni mit Käse. Zum Nachtisch Milchreis. Halbzeit? Nein, nur die Halbstrecke.
Fortsetzung folgt
Kommentar von Shakal Ryan, 29.11.2007, 10:42:
Shakal Ryan will return in Akt fünf und sechs :-)
und davor in drei und vier *oops*
Kommentar von Shakal Ryan, 29.11.2007, 11:50:
Bilder: von Athen erst mal nach Korinth
Kommentar von Shakal Ryan, 29.11.2007, 13:15:
aus dem Buch 25 Jahre Spartathlon * Startbild * der ehemalige 24h-Weltmeister Valmir Nunes (BRA) auf der Hauptstraße * der niemalige 24h-Weltmeister Shakal Ryan auf einer Nebenstraße
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