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Berichte & Ergebnisse 2007

Spartathlon 2006/2007 - Leistungskurs kriechisch oder das kleine Chinesikum - 4. Akt

Beitrag von Shakal Ryan.

Vierter Akt – Kolonne der Sonne

Nach dem Motto „Magst du deine Schwiegermutter nicht, isst du halt etwas mehr von den Kartoffeln”, schlage ich am Verpflegungspunkt bei km 195 am reich gedeckten Tisch ein letztes Mal ordentlich zu. Hirschtalg, frische Socken, und meine gut belüfteten Asics Ohana Racer zwei Nummern größer in 47 1/2. Ja, auch dieses Schuh-Depot wird sich noch lohnen, auch wenn ich geschlagene 35 Minuten in Tegea vertrödele, wohl rechnend, dass das insgeheime Traumziel unter 30 Stunden ohnehin nicht mehr erreichbar ist. Obgleich der Vorsprung auf drohenden Abschuss inzwischen wieder auf 3 Stunden angewachsen ist: die letzten 51 km in 5 Stunden zurücklegen zu wollen, ist nun wirklich illusorisch.

Dabei können wir alle zu diesem Zeitpunkt nicht annähernd erahnen, was uns tatsächlich bevorsteht!

Noch um 8 Uhr 30 fröstele ich in meiner Jacke. Gegen 9 Uhr 30 kündigt sich ein heißer Tag an. Richtig heiß. Nein, noch heißer. Viel heißer! Wir sind nun über 26 Stunden unterwegs. Längst ausgemergelt, ausgezehrt. Aber -wie schön- wir dürfen endlich zurück auf die Hauptstraße. Zu den LKWs, Linienbussen, zu eifrig hupenden Autofahrern. Daumen hoch, danke. Auch wenn ihr in diesen unübersichtlichen Kurven gerne etwas vom Gas gehen könntet. Denn zu Beginn der belebten Nationalstraße nach Sparta fehlen die Randstreifen, welche uns im Athener Vorortverkehr eine gewisse Geborgenheit vermittelt hatten. Wenigstens bleibt man dafür wach. Und irgendwo da rechts drüben liegt Olympia. Das Asphaltband steigt endlos an. Durch eine ausgedörrte Landschaft. Braun. Grau. Schwarz. An manchen Stellen sind die verkohlten Hänge sichtbar, welche die griechische Feuerwehr erst kürzlich so sehr forderte. Trostlose Weite. Schwarz. Grau. Braun. Schleife nach rechts, Schleife nach links. Das Thermometer folgt. Überholt. - Kann mal jemand den gelben Planeten abschalten, bitte ?!

35 Grad! Im Schatten! Schatten? So heißt nur noch der Schirm an den Verpflegungspunkten. Nicht nur Carl Wilhelm und ich brüten in der Sonne. Bei fast 50 Hitzegrad fantasiert er von 1200km Radrennen quer durch Frankreich. Den Fahrtwind hätte ich jetzt auch gern. Bergauf wandern wir stramm, bergab hoppeln wir ein wenig. Laufen kann man es endgültig nicht mehr nennen.

3 Stunden Vorsprung auf das Limit. Ich achte genau auf meine Füße. Nichts passiert. Na ja, keine Schmerzen und kaum Meter. Prima. Inzwischen ist die Straße wieder so breit, daß man glaubt, stillzustehen. Bis zur nächsten Schleife eine geschlagene Viertelstunde. Eher mehr. Das gibts doch gar nicht, warum überholt denn niemand? Sind jetzt etwa alle so langsam? - Ja! Das gibts doch gar nicht, warum kann ich immer noch pinkeln? In Bezug auf Hydration habe ich alles richtig gemacht. Wichtig. Das gibts doch gar nicht, jetzt muss ich sogar ins Gestrüpp? Gerade mal 30km vor dem Ziel. Mir ist alles egal.

Carl Wilhelm läuft voraus. Josef Willerich überholt. Ich bin beschäftigt. Beinahe 10 Minuten vergehen. Schon mal versucht, nach 28 Stunden Lauferei in die Hocke zu gehen? Und danach weiter zu hoppeln!? Diese Hitze! Nein, wirklich, das hält ja kein Mensch aus. Warum tut man sich das an?!

Josef Stöhr strahlt. Geteiltes Leid ist doppelte Sonne. Jetzt wird es wirklich richtig heiß. Ach was, noch viel heißer. Unvorstellbar heiß. Hitzschlaggefahr bei gefühlten 55 Ofengrad. Können Autohupen schmelzen? Fast scheint es, als sei inzwischen sogar der klimatisierte Griff in die Lenkradmitte für die meisten Verkehrsteilnehmer zu anstrengend. Da, ein Baum! Mit einer Ahnung von Blattwerk. So nah an der Straße, in seinem Schatten sinkt für 0,7 Sekunden die Temperatur um 0,07 Grad.

Noch 25 Kilometer. In Sparta verlassen zu dieser Zeit Touristen die Eiscafes und verzichten auf ihre warme Vanille- oder Stracciatellamilch. Bloß weg hier. Und hier. Und hier bei km 222 sowieso. Ist das öde. Asphalt. Etwas Müllgarnitur. Ab und zu ein Auto. Steine drumherum. Soweit das Auge reicht. In Deutschland hätte man das Rennen längst abgebrochen. Nicht so in Kriechenland. Da brechen die Läufer selbstverantwortlich ab. Oder zusammen. Diese Hitze ! Nein, wirklich, das hält ja kein Mensch aus. Warum tut man sich das an?!

Wir reden wenig. Und hoffen viel. Josef ist nun schon weiter als im Vorjahr. Und ich ohne die damaligen Schmerzen. Glück kann so einfach sein. Es geht. Immer weiter. Es geht bergab. Immer mehr. Mit uns. Auch mit der Strecke. Welch ein Glück. Für die Muskulatur. Wer immer in seinem Leben auch nur einen harten Halbmarathon gelaufen ist, geschweige denn einen Marathon, kann nachfühlen, welch grausame Pein berg- oder treppab danach bedeutet. Wir bekommen gleich 15 Kilometer (!) davon extra noch im Rennen angeboten, erneut überwiegend ohne Standspur. Viele Kurven, wieder viel mehr Verkehr.

Knapp 10 Kilometer bleiben. Den meisten ein gefühlter Marathon für sich. Die englischen Ladies der Nacht sind mit ihrem Stand ebenfalls weitergezogen und immerhin eine Nuance ausgeschlafener. Und sie sind stolz auf uns, haben am checkpoint 72 bei der Voutiani Shell Station deshalb sogar Bier im Angebot. Ähre wem Ähre gerührt. Ich verzichte, will nur noch zu Leonidas. Ein letzter Funken Ährgeiz ist geweckt. Wenn ich das letzte Stück bergab nochmals einigermaßen laufen könnte, wird es sich vielleicht noch unter 33 Stunden ausgehen ...?

Josef strahlt. Immer noch. In einer Tour. Wie einer dieser Außerirdischen vom Sangaspass, um den die ganze Welt kollabieren könnte; er bliebe unberührt. Komisch. Sehe ich gerade auch so weltentrückt aus? Er versichert, anzukommen. Ich kann ohne schlechtes Gewissen der Gravitation der Serpentinen hinunter nach Sparta folgen. Und wie! Fünfer Schnitt. Endbeschleunigung. Lukasz, der junge Pole, fühlt sich herausgefordert und hängt sich dran. Eiolf, der erfahrene Norweger, jagt hinterher. Erstaunlich, zu welch' brutalen Leistungen der menschliche Organismus fähig ist, wenn alle mentalen Fesseln fallen. Zu dritt überholen wir noch einige Kollegen, die erkennbar überhaupt keine Lust mehr haben, sich fort zu bewegen. Wahnsinn.

„Wahnsinn?! - Das ist Sparta!” (König Leonidas zu den Persern im Film „300”)

An der Evrotas-Brücke ist die Stadtgrenze Sparta erreicht. Kinder bilden eine Fahrradeskorte für jeden einzelnen Läufer. Ein Polizeiauto kommt dazu, sichert nach hinten ab. Hier darf der Spartathlet auch die Straßenmitte benutzen, höchster Respekt aller Ortsansässigen ist ihm dennoch gewiss. Die letzten zwei Kilometer vom letzten checkpoint bis ins Ziel sind mindestens drei. Es zieht sich ein letztes mal endlos. Ich lasse etwas nach. Unsicherheit. Jetzt bloß nicht falsch abbiegen, z.B. zum Baden Richtung Meer ... statt zu König Leonidas. „What your neim?” Ach, was weiß denn ich, Kinders. Autogramme gibts jetzt keine mehr.

Bild: Ausgiebiges Sonnenbad im Strassenverkehr auf dem Weg nach Sparta

Kommentar von Shakal Ryan, 29.11.2007, 13:09:

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