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Berichte & Ergebnisse 2007

Spartathlon 2006/2007 - Leistungskurs kriechisch oder das kleine Chinesikum - 7. Akt und Epilog

Beitrag von Shakal Ryan.

Siebter Akt – Kinohorror mit Alpendialekt

Kinofilmvorführung „300” für die einen, wir anderen zu Besuch im Museum. Die Geschichte der Olive und ihrer vielfältigen Verwendung sorgt vor dem Mittagessen für etwas Ablenkung, dann hat uns das Chaos wieder. Die „Hazienda” außerhalb hat nur Platz für ein Viertel des Trosses, will jedoch alle verköstigen. Für vier Schichten ist keine Zeit, also versucht man es in zwei. Anders als auf vielen Kreuzfahrtschiffen verläuft der Wechsel zähflüssig, die Kellner bemühen sich, wenigstens einen letzten Überblick zu behalten. Zu essen und zu trinken gibt es lecker und genug. Erste Bilder des Rennens fließen über einen Riesenbildschirm auf der Terrasse, Bier und Wein in lustige Kehlen. Anders als auf vielen Kreuzfahrtschiffen ist die Stimmung locker. Zu wenig Platz? Rücken wir eben enger zusammen. Erfährt man so doch auch gleich, wie viel schlimmer es manch anderem unterwegs ergangen ist. Besonders beeindruckt bin ich von Udo Wegmann, dem nach dem Lauf Teile der Füße von unten fehlen. Mein Problem des letzten Jahres hatte 2007 voll bei ihm zugeschlagen. Nun läuft er in Sandalen quasi auf rohem Fleisch und weiß nicht so recht, wie er jemals mit Gepäck in den nächsten Tagen zum Airport und nach Hause kommen soll. Tragisch.

Gleichwohl hatte Udo durchgehalten und es damit bis Sparta geschafft! Kaum zu glauben. Wenn man die Füße sieht. Beziehungsweise das, was von ihnen übrig blieb. Einen komischen Insidertip hält dazu Michael Vanicek für uns bereit. Statt mit „300” hatte er sich wohl zu „Schweigen der Lämmer” vorbereitet. Sein Rezept: eine Woche vor dem Spartathlon ausgiebig baden oder Sauna. Die weichgewordene Haut am Fußballen hernach mit einer Schere in möglichst gleichmäßige Streifen schneiden. Erst längs. Dann quer. Jeden zweiten entstandenen Würfel herauslösen. Mit Weinen ablöschen und genießen. Vielleicht Favabohnen und einen Chianti dazu? Guten Appetit. Immerhin käme es so auf dem langen Weg nach Sparta zu keinen großflächigen Hautkapriolen. Wo er Recht hat... - sein Erfolg muss alle Zweifler verstummen lassen. Beeindruckendes Muster.

Ebenso beeindruckend mal wieder die Bilanz des Team Germany: alle bislang Genannten erreichten das Ziel. Und einige andere mehr. Für 24 der 55 Hoffnungen hatte die griechische Götterwelt etwas Beistand geleistet. Hierher kannst Du noch so gut vorbereitet anreisen. Auch das Schicksal muss es gut mit Dir meinen. Bei Zeus.

Auf der mehr als 4stündigen Busrückfahrt nach Athen wird einem am Nachmittag richtig bewusst, welch ungeheure Strecke man erlaufen hat. Das Magnum aus der Eistruhe beim Fotostop am Kanal von Korinth kostet frische 4 euro. Preise wie auf Kreuzfahrtschiffen.

Welchem Hotel in Glyfada wir wohl heute zugelost werden? Unseres liegt nahe der besten Eisdiele der Welt. In dieser stimmt der Preis. „Na, noch ein drittes für auf-die-Hand?” Und das um Mitternacht. Denn der check-in ins Hotel Oceanic mutiert diesmal selbst zum abendfüllenden Spielfilm. Spätvorstellung, 22 Uhr. Neunzig Minuten. Vor uns sind erstmal einige Tschechen und Bergnachbarn dran. „Where from? Australia!?” - „Naa, Oostria!” - „Naoustria?” Mensch, Mädchen. Versuch's doch mal als Avonberaterin, wenn's als Rezeptionskraft zu schwer ist. Alpendialekte wollen gelernt sein. Gaaanz ruhig bleiben!

Epilog – das kleine Chinesikum

Das Rennen ist längst vorbei, die Schlacht ist längst geschlagen. Doch der Hormonhaushalt, die Enddolphine, sie tragen noch nach Tagen.

Nach einem relaxten Badetag, Einfachnurausschlafen im Hotel oder wahlweise individuellen Besichtigungen diverser herumliegender Altertümer wartet am Montagabend die feierliche Abschlussehrung in einem Hattatsächlichfünfsterne-Hotel in der Stadtmitte von Athen. Es heißt, wie ein Kreuzfahrtschiff nur heißen kann: Titanic. Kleidervorschlag mindestens smart casual, gerne Anzug/Kostüm, besonders gerne wird Nationaltracht gesehen. Martina Juda macht in ihrem schicken tschechischsüdtiroler Bauerndirndl extra viel Eindruck. Eusebio Bochons aus Spanien kommt als Torero daher. Manch einer der ausgewachsenen Japaner wirkt in seinem tuffigen Beinkleid, als hätten die Eltern wochenlang den Windelwechsel „versäumt”. Auch der Schotte im bleichen Papierfetzenoutfit statt Rock sorgt für Aufmerksamkeit. Woher kam der noch gleich?

Ein Nationalbewusstsein besonderer Farbe durchdringt bald den halben Raum und macht den Job für Angela Merkel nicht einfacher. Statt „free Tibet!” heißt die Parole schnell „feier Taiwan!” Akte X. Die kleinen Chinesen scheinen hunderte Fahnen und Fähnchen aus Fernost eingeflogen zu haben, das reicht für ihre gut 15köpfige Delegation plus sämtliche interkontinentale Freunde. Nach dem Genuss einiger vergorener Getränke geben damit auch Franzosen und Deutsche derart gern den völkerverbindenden Wedelmeister, dass bald die Klimaanlage auszufallen droht. Als die Finisher namentlich in Rangfolge einzeln nach vorne auf die Bühne gebeten werden, eine Mappe mit Urkunde, Zwischenzeiten sowie diversen Zusatzinfos zum Rennen erhalten, und ihre Finisher-Medaillen umgehängt bekommen, kocht der Saal. Die formosen Taiwanesen spielen dabei schon mal Peking 2008, wo man sie vermutlich leider nicht wird treffen dürfen. Wir treffen deren immer glücklichen Gesichter dafür auch am üppig gedeckten Speisetisch für Selbstbediener, welches in Qualität und Menge alles in den Schatten stellt, was es bislang im Ultramarathonbereich zu futtern gab! Darin unterscheiden sich am Ende 332 moderne von 300 antiken Kämpfern. Schlachtopfer ist nur noch der eigene Körper. Ein wenig. Und das grandiose Schlemmerbuffet. Ein wenig mehr.

Welch köstliche, ergreifende, erlebnisreiche Fünfsterne-Abschlussparty. Auf diesem Schiff geht man gerne unter.

War der Ort der Schlussfeierlichkeiten in 2006 mit dem Zappeion, gebaut 1896 anlässlich der ersten Olympiade der Neuzeit, eine sehr erhabene, sporthistorisch bedeutsame Wahl mit dafür im Anschluss in blütenweißem Atmosphärenzauber etwas hungrig lassendem Dinner, zeigt uns heuer die Jubiläumsvariante, worum es dem gepflegten Ultramarathoni eigentlich wirklich geht:

Entsprechend des neo-olympischen Grundgedanken mit zahlreichen Gleichgesinnten möglichst viel geliebten (Lauf)Sport treiben, im Wettkampf mit sich selbst eigene Grenzen und die Vorstellungen anderer Menschen und Kulturen völkerverbindend kennen lernen - und dabei möglichst wenig Sportpolitik. Dann braucht es auch kein Doping. Nur maximal leckeren Nahrungsumsatz als Treibstoff. Ja, darum tut man sich das an!

Genau darum !

Spartathlon. Für die einen ist es Wahnsinn. Für mich die längste Praline der Welt. Leonidas! Auch 2008. Olympia? Bei Jing? - Nein! Bei Zeus! Ja - viel lieber bei Zeus!

Wird das wieder bewegend ... dramatisch ... wahrhaft olympisch. Bei Zeus, ja - das wird es! Ganz bestimmt.

Leonidas wartet. Na? Keine Lust, auch mal zu naschen? Ich sage Dir, das lohnt sich. Oh ja. Bei Zeus!

Das lohnt sich!

Bild: Finishergabe - Acrylplatte mit den vier stilisierten Läufern der Panathenäischen Spiele

Kommentar von Shakal Ryan, 29.11.2007, 13:05:

Kommentar von Ralf Milke, 30.11.2007, 23:20:

Bin jetzt durch. Toll! Am Donnerstag danach im Volkspark Schöneberg warst du spürbar immer noch auf Dolphine, und jetzt klingt es schriftlich genau so frisch. Wunderbar! Zieht mich emotional förmlich rein. Wenn das nur nicht so elend weit wäre...

Glückwunsch!

Kommentar von Carsten Schultz, 02.12.2007, 01:08:

Bei mir hat es länger gedauert, aber ich bin jetzt auch durch. Zunächst war ich ob der Ankündigung, den Bericht in mehrere Teile aufzuteilen, ja skeptisch, aber nun weiß ich, warum Du das vorhattest. Ryan, ein toller Bericht zu einer hervorragenden Leistung! Ob mir die Schilderungen der Fußsohlen das Unternehmen allerdings schmackhaft gemacht haben...

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