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Berichte & Ergebnisse 2007

Spartathlon 2006/2007 - Leistungskurs kriechisch oder das kleine Chinesikum - 6. Akt

Beitrag von Shakal Ryan.

Sechster Akt – Erdbeben mit Hymnen und Höschen

Nach dem gemeinsamen Abendessen brechen wir um 20h30 auf Richtung Marktplatz zur ersten von zwei großen Siegerehrungen. Wegen der sommerlichen Feuersbrunst, die vor allem tief im Westen der Halbinsel, wo auch Olympia liegt, schlimmes Leid über viele Griechen gebracht hatte, soll die Ehrung in Sparta in diesem Jahr in einem zurückhaltenderen Rahmen stattfinden. Trotz Jubiläum „25 Jahre Spartathlon”.

Zurückhaltung auf griechisch. War im Vorjahr noch ein riesiger Baldachin über die fernsehgerechte Bühne gebaut worden mit Scheinwerferlandschaft wie im Wetten-Dass-Studio, wirkt die Szenerie 2007 zunächst eine Idee weniger bombastisch. Alle Finisher dürfen wie immer auf Stühlen auf der Freiluftbühne Platz nehmen. Etwa die Hälfte davon ist anwesend, die andere verschläft im Hotelbett. Dann geht es los. Ein junger Bursche bringt die Olympische Fackel und entzündet eine noch größere Fackel hinter der Bühne. Ein kleines Luftschiff steigt dort auf, warum wissen die Götter. Dazu wummert Vangelis aus gigantischen Boxentürmen so laut, dass wenigstens diese Läuferhälfte gar nicht einschlafen kann. Und man von der anderen im entfernten Hotel wohl den ein oder anderen erdbebengleich aus dem Verschlafgemach kegelt. Abertausende Spartaner, vielfach in Großfamilienstärke, säumen gemeinsam mit Touristen gespannt den Markt. Menschen bis zum Horizont der Häuser.

Bei der Vorstellung der drei ersten Sieger wird klar, dass Pheidippides kein Mädchen war. Die besonders erfolgreichen Männer aus USA, Polen und Brasilien dürfen sich auf dem Podium gegenseitig mit ihren Hymnen beglücken. Begleitet von Glühsprühfontänen aus überdimensionalen Wunderkerzen ziehen riesige Nationalflaggen an Bühnenmasten auf. So kennt man das nur aus dem Fernsehen. Bei den Frauen aus Japan, Frankreich und erneut Japan bleibt es zum Erstaunen aller jedoch bei Bussis, Blumen und kleinen Präsenten, bei Pokalen und Medaillen. Bei Gold, Silber, Bronze. Und natürlich einigen Ansprachen. Notlösung griechische Art. Denn 2006 hatte die japanische Nationalhymne vom Band geklemmt und musste von den Aktiven choral intoniert werden. Die fällige Reparatur scheint wohl länger zu dauern. Tragisch. Komisch.

Als Besonderheit des Spartathlon werden im Rahmen der Zeremonie sämtliche Finisher mit Nationalität zweisprachig verlesen, einige Namen sogar verständlich. Mit dieser Geste würdigen die Hellenen gleichzeitig die Leistung ihrer antiken Botenläufer und griechischen Nationalhelden, welche derartige Distanzen von Berufs wegen wiederholt zurücklegen mussten, und in deren Glanze sich nun ein jeder von uns auf der Bühne für einen bewegenden klitzekleinen Moment als Popstar sonnen, vom Ruhm naschen darf. Zusätzlich finden sich unsere Namen samt Fotos für einen begrenzten Zeitraum auch auf einer am Platz aufgebauten Säule zum Nachlesen. Die Namen von erster Frau und erstem Mann im Ziel werden gar eingraviert. Ewige Erinnerung. Ja! Darum tut man sich das an!

Beim Erwähnen der erfolgreichen Griechen unter uns brandet natürlich Jubel auf, die entsprechenden Herren verneigen sich kurz von der Bühne. Dabei ist der letzte Vorhang durchaus noch nicht gefallen.

Ein beeindruckendes Feuerwerk krönt zum Abschluss den Tag. Himmelhochjauchzend.

Zu Tode betrübt. Das Auf und Ab bei einem solchen Lauf spiegelt sich auch in der Organisation drumherum. 2007 mehr als jemals sonst.

In den letzten Jahren waren immer mal Sachen der Läufer abhanden gekommen, welche an den Kontrollpunkten vor oder während des Rennens deponiert worden waren. Zur besseren Ordnung findet die Rückgabe der Utensilien nach dem sonntäglichen Frühstück deshalb erstmalig in einer Turnhalle etwas abseits der City-Hotels statt. Busse bringen die Läufer sukzessive zur Kollekte. Schnell macht sich Unmut breit, auch in diesem Jahr vermisst der ein oder andere mehr oder weniger wertvolles Läufergut. Ich habe Glück. Nur kurz draußen wartend, werden mir bald alle meine abgegebenen Tüten ohne Inhaltsverlust heraus gereicht, während einer der Skandinavier nur mit Mühe am Betreten der Halle zwecks Suchunterstützung gehindert werden kann: „No, you cannot go inside!” Ein paar Franzosen und Koreaner stehen offenbar schon länger herum und haben herbe Verluste zu beklagen. Trikots, Socken, sogar Schuhe fehlen, da ist eine Trinkflasche noch die geringste Abschreibung. In einem der letzten Busse sitzend, warten wir zunächst vergeblich darauf, ins Hotel zurückgefahren zu werden.

Vor den Fenstern kramt ein Österreicher vorsichtig in einer Mülltonne. „Oh, ein Trikot!” Ob da vielleicht noch mehr ... ?

Die Tonne wird vollends aufgeklappt, ruckzuck wühlen auch vier Franzosen nach Brauchbarem. Einer der betrübten Koreaner wird erlöst, bekommt er von einem der Wühler doch sein Höschen zurück. Schnell ist die Tonne umringt von weiteren Interessenten, mindestens 10 Läufer zeigen den verwunderten Businsassen, was sie bei der häuslichen Mülltrennung gelernt haben. Essensreste hier - und dorthin die Verpackungen. Gut, die übrig gebliebenen Riegel wird vermutlich niemand mehr haben wollen. Bald sucht auch ein deutscher Läufer. Unter anderem nach nicht zurückgekommenen vollen Bierbuddeln. Irgendwie wirkt die Szenerie wie eine Truppe Hartz IV- Empfänger auf wertvoller Pfandflaschensuche in Kurfürstendammpapierkörben. Nur größer.

Nach etwa 15 Minuten feiert eine ungarische Filiale Eröffnung. Die ersten Schuhe werden hochgehalten. Die Funde sprechen sich herum. Läufer, welche resigniert schon wieder im Hotel zurück waren, nehmen die anderthalb Kilometer zum Tonnenparkplatz unter ihre müden Füße, denn Busse fahren keine mehr raus. Schließlich liegt der Inhalt gleich mehrerer großer Mülltonnen beinahe vollständig akkurat verteilt auf einer griechischen Vorortstraße und wartet auf potentielle Abnehmer. Das hat etwas von Wochenend-Flohmarktbummel. Und im Bus wissen viele nicht, ob sie darüber lachen oder weinen sollen. Tragikomisch.

Wie sich herausstellt, war alles nur ein Missverständnis. Einer der Orgachefs tobt Richtung 8komma6 auf der Richterskala. Er hatte seinen Landsleuten bedeutet, Flüssigkeitsreste könnten entsorgt werden, die entsprechenden Tüten müssten nicht zurückgegeben werden. Da viele Griechen zwar großzügig, manchmal aber zudem sehr bequem sind ...

Sie werden es wieder gut machen. Wo das Rennen selbst für viele der Landhellenen Weihnachten nahe kommt, ist der Abschlussabend in Athen (traditionell erst am Montag an jährlich wechselnden Schauplätzen gefeiert) sein Silvester.

Bild: Ziel - Sanizelt mit erwartungsvollen Masochistinnen und Olivenkranz

Kommentar von Shakal Ryan, 29.11.2007, 13:06:

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